Ein Blick zurück...

Die Geschichte der Jos-Weiß-Schule ist in der Festschrift zum 100. Geburtstag der Schule 1988 ausführlich dargestellt. Hier nur ein kurzer Blick zurück: Gebaut wurde die Jos-Weiß-Schule über dem ehemaligen Ledergraben und 1888 eingeweiht. Sie ist die älteste Volksschule der Stadt Reutlingen und benannt nach Jos Weiß, dem Bürgermeister der freien Reichsstadt Reutlingen zur Zeit der Reformation.

In der Kaiserzeit als Knabenvolksschule gegründet, bleibt sie dies auch in der Weimarer Republik und in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Jos-Weiß-Schule eine Christliche Gemeinschaftsschule. Im Schuljahr 1955/56 werden zum ersten Mal ausschließlich gemischte Klassen von Mädchen und Jungen gebildet. 1966 wird die Jos-Weiß-Schule eine reine Grundschule und sieht sich bald vor große Probleme gestellt.

Die Schule gerät ins Abseits

Ausländische Schüler aus Italien, Griechenland, Jugoslawien, Spanien, Portugal, der Türkei sollen Unterricht erhalten. Auf diese Situation ist niemand vorbereitet. Im Schuljahr 1966/67 sind es 37 Schüler, zwei Jahre später schon 278. Bald hat die Jos-Weiß-Schule einen Ausländeranteil von 75%. In der Nachbarschaft und unter deutschen Eltern wird sie als “Ausländerschule” geschmäht, in die man sein Kind nicht schicken könne. Ausländerfeindlichen Tendenzen verbreiten sich. Eine Abwanderung aus dem Schulbezirk beginnt in Nachbarschulen oder Schulen in freier Trägerschaft. Damit steigt der Ausländeranteil weiter, auf fast 80%. Selbst ausländische Eltern suchen die Schule zu meiden, weil dort zu viele Ausländer sind.

Die deutsche Wirtschaft hatte mit Unterstützung der Politik ausländische Arbeitnehmer angeworben, Gastarbeiter, von denen man annahm, dass sie nach ein paar Jahren wieder in ihr Heimatland zurückkehren würden. Aber “es kamen Menschen”, Familien mit Kindern, die hier blieben.

Die Schule war herausgefordert, Lösungen für die Probleme zu finden.

Von der “Ausländerschule” zur “Europaschule”

Leitgedanken

Ende der 1970er Jahre wird unter dem Stichwort “Integration” das gemeinsame Lernen von ausländischen und deutschen Schülern und die gleichzeitige Förderung von deutschen und ausländischen Schülern das zentrale Thema der Jos-Weiß-Schule. Ausgangspunkt ist eine schülerorientierte Pädagogik: “Die Lernenden sind wichtiger als die Lehre” (siehe auch Video). In das Zentrum der schulischen Arbeit rückt der einzelne Schüler in seiner Individualität und wird als Teil der sozialen Gruppe mit seinen Stärken und Schwächen akzeptiert. Gerade die Verschiedenheit der Individuen ermöglicht und erfordert differenziertes Unterrichten. So gesehen sind ausländische Schüler mit ihren unterschiedlichen kulturellen Erfahrungen eine Bereicherung für eine am Schüler orientierte Schule, eine Bereicherung, die vor allem auch deutschen Schülern zugute kommen kann. Aus Problemen werden pädagogische Chancen.

Was war uns wichtig?

  • Die Schüler stehen im Mittelpunkt des Lernens und Lebens (Schülerorientierung).
  • Die Schule ist “Heimat” für alle ihre Schüler.
  • Das soziale Lernen nimmt einen breiten Raum ein.
  • Die Lehrer einer Klassenstufe entwickeln sich zu Teams und überwinden das Einzelkämpferdasein (“Team-Modell”).
  • Förderung aller Schüler durch die Bildung möglichst kleiner Klassen, innere Differenzierung (auch Teamteaching) und äußere Differenzierung in Deutschkursen (klassenübergreifende Stütz- und Fördermaßnahmen) für den größten Teil des Deutschunterrichts
  • Zusätzliche Förderung in Kleingruppen
  • Förderung ausländischer Schüler in Vorbereitungsklassen, auch für Schüler aus anderen Schulbezirken
  • Entwicklung außerschulischer Förderangebote
  • Intensive Zusammenarbeit zwischen Lehrern und insbesondere auch ausländischen Eltern
  • Kooperation mit den Lehrern des muttersprachlichen Zusatzunterrichts
  • Vernetzung im Stadtteil: Kontakte und Kooperation mit Sozialbetreuern, Kinderärzten, Erziehungsberatungsstellen, Jugendamt, Sozialamt, Kindergärten, weiterführenden und Sondeschulen, Stadtbibliothek, Museen, Polizei, …
  • Als Ausbildungsschule der PH Reutlingen werden deren Kompetenzen genutzt, Dozenten wie Studenten zur Mitarbeit eingeladen.

Der Förderverein Jos-Weiß-Schule e.V.

Bereits 1978 entsteht die Idee, einen Förderverein (vgl. auch Schulförderverein) zu gründen. Ein Gedanke, der zunächst kaum Befürworter findet. Ein Förderverein für eine Grundschule: Braucht’s das? Doch wohl eher nicht! Dennoch gelingt es, Skeptiker und Zweifler zu überzeugen, so dass im März 1981 die Gründungsversammlung stattfinden kann. 33 deutsche und ausländische Eltern, Lehrer, Schulräte und ehemalige Schüler heben den Förderverein Jos-Weiß-Schule aus der Taufe, von heute aus betrachtet: fast ein Geniestreich. Das Motto heißt: “Was gut ist, soll man fördern.”

Durch den Förderverein beginnt der Aufbau außerunterrichtlicher Hilfen und Angebote.

  • Es gelingt 1983 eine Sozialpädagogin anzustellen, eine erste Hausaufgabenbetreuung entsteht.
  • Ältere Schüler des Friedrich-List-Gymnasiums werden gewonnen, um in der Frühe oder am Nachmittag Schülern aus den Vorbereitungsklassen zu helfen.
  • 1985 wird an zwei Tagen in der Woche unter Mithilfe von Eltern ein Mittagstisch angeboten.
  • Die neue Schülerzeitung “JOWEX” (Jos-Weiß-Express) wird finanziell abgesichert.

Außerdem unterstützt der Förderverein kleine Projekte der Schule. An gemeinsamen Festen und Feiern ist der Förderverein beteiligt.

Neben dem Förderverein unterstützt der Deutsche Kinderschutzbund mit Spielgruppen am Nachmittag das Lernen der Kinder.

Eine weitere Sozialarbeiterin kann sich konzentriert um die Schüler der Vorbereitungsklassen und deren Familien kümmern.

Zwischenbilanz

Die Arbeit an der Jos-Weiß-Schule zeigt Erfolge. Die Schulverwaltung kann Mitte der achtziger Jahre eine gute Lehrerversorgung ermöglichen. Regional und landesweit arbeiten Lehrer der Jos-Weiß-Schule in Modellprojekten mit. In der Lehrerfortbildung wird die Arbeit der Schule als beispielhaft vorgestellt. Im Schulbezirk gelingt es, auch wieder deutsche Familien an die Schule zu binden, die von der Integrationsarbeit überzeugt sind und das Konzept der Schule unterstützen. Dennoch erweisen sich die Vorurteile als langlebig. So schnell verliert man einen schlechten Ruf nicht, auch wenn er den Tatsachen nicht mehr entspricht. Immer noch wandern viele Schüler ab, weil sich ihre Eltern an anderen Schulen eine bessere Schulbildung erhoffen.

Die Jos-Weiß-Schule wird “Europaschule”

Förderverein und Elternbeirat mögen sich mit der Diskrepanz zwischen eigener Erkenntnis und eigener Erfahrung an einer guten Schule einerseits und den immer noch weit verbreiteten Vorurteilen andererseits nicht zufriende geben.

Im Wochenmagazin des Reutlinger Generalanzeigers erscheint im Oktober 1991 ein großer Artikel, in dem die Arbeit der Schule dargestellt wird. Die Elternbeiratsvorsitzende zeigt das Dilemma auf: Hier die zufriedenen deutschen wie ausländischen Eltern an der Schule, die mitarbeiten, mitgestalten, erleben, dass ihre Kinder an den weiterführenden Schulen keine besonderen Probleme haben, dort die Eltern, die sich nicht einmal informieren wollen, die jeder Einladung in die Schule trotzen. Was sind die Motive?

 

Eine Werbekampagne wird beschlossen. “Joschi” als Schulsymbol wird erfunden, ein Werbeprospekt wird produziert, Buttons werden hergestellt. Die Jos-Weiß-Schule verpasst sich ein positives Etikett. Wieder wird etwas gewendet: der negative Begriff. “Ausländerschule” wird positiv umgewandelt in “Europaschule”. Das will heißen: Wir sind der Zeit voraus. Wir bauen Europa. Vom Euro ist in der Zeit noch nicht die Rede. In einem großen Festakt mit einem Abgeordneten des Europaparlaments, der zu allem Glück auch noch ein ehemaliger Jos-Weiß-Schüler ist, und einem Europa-Schulfest wird dieses Ereignis am 8. Mai 1992, dem Europatag, gefeiert. Ob diese Kampagne ein Erfolg war, lässt sich schwer messen. Für das Selbstbewusstsein “aller am Schulleben Beteiligten” war es wichtig. Das Thema “Europa” ist seitdem ein Projektthema.

Die Schulentwicklung geht weiter

Der Modellversuch “Schulanfang auf neuen Wegen” stößt in der Jos-Weiß-Schule sofort auf Interesse. Er entspricht dem frühen schülerorientierten Ansatz, nach dem jedes Kind einzig in seiner Persönlichkeit ist. Die Schule entscheidet sich für das Modell mit zwei Einschulungsterminen und beginnt im Schuljahr 1997/98 mit einer Klasse. Schritt für Schritt wird der Versuch ausgeweitet, so wie sich Lehrerinnen bereit erklären, das Modell zu wagen. Auf Antrag des Elternbeirats wird das Nebeneinander von jahrgangsgemischten und Jahrgangsklassen beendet. Mit Beginn des Schuljahres 2002/03 gibt es im Eingangsbereich ausschließlich jahrgangsgemischte Klassen. Die Versuchsphase ist beendet, ein wichtiger Baustein des Schulprogramms geschaffen.

Die Jos-Weiß-Schule wird attraktiv für Eltern, die in diesem Konzept die bestmögliche Schulbildung für ihre Kinder erblicken.

Was als kleines Betreuungsprogramm des Fördervereins beginnt, expandiert im Laufe der Jahre. Der Boden für Kernzeitbetreuung und Verlässliche Grundschule ist bereitet. Immer mehr Eltern nehmen die Angebote an.

Im Herbst 2005 sind im Rahmen der Verlässlichen Grundschule über 50 inder für die Frühbetreuung von 7:00 Uhr bis zum Unterrichtsbeginn angemeldet. Für die Mittagsbetreuung sind es 193 von insgesamt 320 Schülern. Der anfangs kleine Mittagstisch für ein paar Kinder wird zu einem Angebot, das an jedem Schultag in Anspruch genommen werden kann. Über 150 Schüler essen mittags in der Schule ein von unserer langjährigen Hauswirtschafterin frisch zubereitetes Essen.

Die Hausaufgabenbetreuung expandiert ebenfalls. Aus einer Handvoll Kinder in einer Gruppe werden neun Betreuungsgruppen.

Der Wunsch von Eltern nach einer Ferienbetreuung wird für die Herbst-, Faschings und Pfingstferien erfüllt.

All diese Maßnahmen werden vom Land Baden-Württemberg, dem Landkreis und der Stadt Reutlingen finanziell bezuschusst. Verlangt wird immer auch eine finanzielle Beteiligung der Eltern. Der Förderverein fungiert als Träger und beschäftigt 13 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ehrenamtliche Engagement von Mitgliedern des Fördervereins macht letztlich das ganze Unternehmen erst möglich. Die Jos-Weiß-Schule wird attraktiv für Eltern, die eine Ganztagesbetreuung für ihre Kinder brauchen.

Auf diesem Erfahrungshintergrund ist es verständlich, dass die Jos-Weiß-Schule mit Unterstützung der Stadt Reutlingen und der Schulverwaltung beantragt, eine Ganztagesschule des Landes Baden-Württemberg zu werden. Dieses Ziel wird im Jahr 2005 erreicht.

Wer war Jos Weiß?

Wann genau er geboren wurde, weiß man nicht, vielleicht 1475 oder 1480. Dagegen weiß man, wann er gestorben ist: 1542. Er wurde also ungefähr 65 Jahre alt.

Unsere Schule trägt seinen Namen. Das war nicht von Anfang an so. Erst anlässlich des 40. Jubiläums der “Knabenvolksschule” am Ledergraben beschloss der Lehrerrat am 14. Dezember 1928: “Wir bitten den Gemeinderat der Stadt Reutlingen, der Knabenvolksschule den Namen Jos-Weiß-Schule zu geben”.  Am 7. Februar 1929 : “Vom Gemeinderat wird beschlossen, dem Knabenschulgebäude Lederstraße 107 die Bezeichnung Jos-Weiß-Schule zu geben.”

Von Beruf war Jos Weiß Bäckermeister und hatte wie die meisten Bäcker einen Weingarten. So war er auch Weinhändler.

1520 wurde er Zunftmeister der Bäcker und Spendenpfleger.

1525 kam er in den kleinen Rat.

1527 wurde er Bürgermeister der freien Reichsstadt Reutlingen.

Mehrmals wurde er wiedergewählt, ein Mann mit “hellem Kopfe und offenem Herzen”, ein Mann, “der seine Vaterstadt als den Boden gemäßigter Freiheit über alle Maßen liebte und ebenso das Vertrauen seiner Mitbürger im höchsten Maße besaß”.

Er “regierte” seine Stadt gut und vertrat sie 14 Jahre lang auf Reichstagen und Bundestagen “mit Erfolg und Ansehen”. So heißt es in einer alten Schrift.
Mit Martin Luther hat er Briefe gewechselt. Standhaft hat er sich zusammen mit Matthäus Alber für die Reformation eingesetzt, also dafür, dass Reutlingen evangelisch wurde.
Das berühmteste Datum ist wohl 1530: Reichstag in Augsburg. Er unterschreibt mit dem Bürgermeister von Nürnberg neben vielen Fürsten die berühmte Confessio Augustana (Augsburger Bekenntnis).
Gestorben ist Jos Weiß am 11. August 1542 auf dem Ritt zum Nürnberger Reichstag in Eschenbach bei Ansbach. Wo genau er begraben wurde, weiß man nicht.

In der Reutlinger Marienkirche ist Jos Weiß neben anderen Reformatoren dargestellt.